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Hugo von Hofmannsthals Essays – eine "alles verschlingende Unform"?

 


Mariana-Virginia Lãzãrescu

 

   Es steht heute für die Literaturwissenschaftler fest, daß Hofmannsthals Essays eine besondere Wirkung in und außerhalb seiner Zeit erreicht haben und zum Teil immer noch einen Sonderplatz im Rahmen seines Werks sowie der gesamten deutsch-österreichischen Literaturgeschichte einnehmen. Wenn man die Essayistik Hofmannsthals als einen wesentlichen Teil seines Schaffens betrachtet und diese zu analysieren beabsichtigt, fragt man sich zunächst, ob ein solches Unternehmen bei einer "in sich kreisenden und auf sich selber zurückverweisenden Gattung wie dem Essay"[1] lohnend sein kann.

   Jedes Zuwenden dem Werk Hofmannsthals wird für den Exegeten immer eine "Versuchung" sein, einen besonderen Reiz ausmachen, jede Wiederholung stellt zugleich einen Neuansatz dar. Sehr wichtig scheint es mir, in gewissen Zeitabständen vor allem die Themenkomplexe seiner Essays, die nach seinem Tod in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen vereinzelt behandelt wurden, wiederaufzunehmen und den Versuch zu machen, diese Inhalte neu zu beleuchten. Struktur- und Stiluntersuchungen zu Texten, die nicht als Reden oder Aufsätze, sondern als Essays bezeichnet werden, führen meines Erachtens zu pertinenten Schlußfolgerungen im Hinblick auf einen wesentlichen Teil im gesamten Schaffen des österreichischen Schriftstellers. "In der Tat soll man den Dichter innerhalb der Werke suchen, nicht rund herum um die Werke."[2]

   Der Essayist ist ein Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft, ein kunstvoller Außenseiter unter den Fachleuten, ein Rechtloser im Zeitalter der Spezialisten und dennoch einer, der mit seiner Lust am Formulieren an einem Problem das Neue, in einer Gestalt das Wesenhafte sieht und nennt.

   Der Essay Hofmannsthals ist ein literarisches Kunstwerk, das mir als ein einheitliches Gefüge erscheint, dessen Elemente in individueller Weise gestaltet sind, d.h. als ein organisches Gebilde, das einen ihm und nur ihm eigentümlichen Stil aufweist. Dieses Gebilde ist in sich geschlossen und autonom.[3]

   Bekanntlich hat Hofmannsthal den Begriff Essay für seine Arbeiten vermieden und dafür Ausdrücke wie "Feuilleton", "Aufsatz", "Prosaarbeit" oder "Kleine Sachen" verwendet.[4] Die Erklärung dafür ist die "distanziert-kritische Haltung" Hofmannsthals zu der literarischen Form, die zur Modegattung deklariert worden war. Für ihn ist der Essay "die alles verschlingende Unform"[5]. Weder Lessing noch Herder, weder Hillebrand noch Hofmannsthal bezeichnen ihre Texte als Essays.[6]

   In den Aufzeichnungen aus dem Nachlaß 1891 notierte aber Hofmannsthal am 2.X.:

"Ein Essay: Boulanger,"[7] was, literaturgeschichtlich gesehen, einen wichtigen Hinweis darstellt.

   An einer anderen Stelle der Aufzeichnungen aus dem Jahre 1892 erwähnt er ebenfalls das Wort "Essay":

11.XI. - Mögliche Essays. Wille zur Macht.

a) Nietzsche   b) Rubens                   c) Marie B[ashkirtseff]

d) Bahr          e) Goethe-Tyrannos     d)[8] Rothschild.[9]

   Er bezieht sich auf ein wesentliches Merkmal dieser Gattung, wenn er in den Aufzeichnungen aus dem Nachlaß 1893 meint:

Formlosigkeit in einem Kunstwerk (V. Essay). - Man weiß nicht, was man damit anfangen soll. Form hinterläßt Harmonie, Befriedigung wie Trostrede gelöstes Problem; gibt eine Ahnung der kosmischen Harmonie, befriedigt kosmogonische Triebe (Semper).[10]

   Interessant ist die Aufzeichnung aus dem Jahr 1911: " 'An appreciation' (als Kunstwort für eine Form des Essays) - eine 'Anerkennung', schöner Terminus, ins Deutsche ohne Preziosität nicht übersetzbar."[11]

   Man kann aus den genannten Beispielen schlußfolgern, daß für Hofmannsthal die experimentelle Haltung sowie der Stil des Essays als Kunstwerk verlockend waren. Gleichzeitig hütet er sich davor, das Wort "Essay" oft zu gebrauchen, mag sein wegen der Unsicherheit über den Gegenstand des Essays und weil er nicht der Verfasser von Gelegenheitsarbeiten sein wollte, für was der Essay um die Zeit galt. Bekanntlich wurde der Essay um die Jahrhundertwende zu einem formalen Problem und zu einem inflationären Begriff. Hofmannsthal hätte Dieter Bachmann zugestimmt, daß der Trivialgebrauch des Ausdrucks "Essay" ebenso vielfältig wie vage ist.[12] Hofmannsthal schrieb vor allem also Aufsätze, Rezensionen, Reden oder Feuilletons, die heutzutage als Essays aufgefaßt werden.

   Zwar gebrauchte Hofmannsthal die Bezeichnung "Essay" kaum zu Lebzeiten, doch er gilt als einer der wichtigsten und produktivsten deutschsprachigen Essayisten am Anfang des 20. Jahrhunderts. Seine Essays, wie wir sie heute zu nennen pflegen, bedeuten Tradition, Bildung und Kultur. Wer Hugo von Hofmannsthals Texte verstehen möchte, wer sich an eine Interpretation seines Werkes heranwagen will, der möge sich mit der Essayistik auseinandersetzen. Die Entwicklung seiner Essayistik stimmt nämlich mit dem Werdegang eines Dichters überein, seine Essays sind seine Biographie.

   In der traditionellen Gattungspoetik wird dem Essay kein Platz eingeräumt, da er sich weder als epische noch als lyrische noch als dramatische Form auffassen läßt. Von daher ist sein Verhältnis zu den herkömmlichen Gattungen problematisch, was möglicherweise auch Hofmannsthal so empfunden haben könnte und als Erklärung für seine Zurückhaltung dieser Gattung gegenüber aufgefaßt werden könnte.

   Hofmannsthal vertritt im Hinblick auf die Essayistik zugleich die Tradition und die Neuerung, er erinnert an William Hazlitt durch den Gesprächscharakter seiner Essays und an Charles Lamb durch die Verwendung der Zitate und Redewendungen aus der älteren Literatur. Er versteht es wie kein zweiter jedem Thema einen spezifischen Reiz abzugewinnen, mag es sich um literarische, um historische, um bildende Künste und Musik, um Theater oder um gelegentliche Äußerungen handeln.[13]

   Hofmannsthal hatte meines Erachtens die seltene Gabe, sich in das Werk eines Dichters liebe- und kunstvoll zu versenken. Ich glaube, die Akzente richtig zu setzen, wenn ich behaupte, daß seine Position als Theoretiker vermittels seiner Essays in der Literaturgeschichtsschreibung und in der Literaturkritik ebenso diskutabel wie produktiv ist. In der essayistischen Auffassung Hofmannsthals lassen sich im Laufe seines Lebens und Schaffens mehrere deutlich abgegrenzte Etappen erkennen.

   In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts ist Hofmannsthal auf der Suche nach einem eigenen aus der Fülle der zeittypischen Erscheinungen herausgefilterten Standpunkt. Seine lebhafte Auseinandersetzung mit dem Dilettantismus und dem Künstlertum, mit dem zeitgenössischen Denken und Schaffen werden nach 1902 etwas konservativer und kulturzentrierter.

   Indem man sich mit der Essayistik Hofmannsthals beschäftigt, arbeitet man an dem Versuch, den Essay innerhalb der Nationalliteratur zu fixieren. Seine Essays über die Gestalten deutscher und österreichischer Dichter setzen sich zu einem Kapitel deutscher Literaturgeschichte und zu einer originellen Literaturkritik zusammen, die ohne Pedanterie, sondern mit Phantasie realisiert wird.[14] Erwähnt seien hier u.a. die Essays über Lessing, Goethe, Schiller, Grillparzer, Stifter, Raimund, Reinhardt usw.

   Der Essay hat in vielen Fällen fragmentarischen und experimentellen Charakter. Das Fragmentarische hat im Schaffen Hofmannsthals eine große ästhetische Bedeutung. Wichtige Leistungen des Wiener Dichters sprechen zu uns heute in Fragmentform. Der Essay als literarische Ausdrucksform war für die Zeit des Autors in besonderem Maße charakteristisch.

   Die besondere Leistung und die Funktion des Essays um und nach 1900 ist die Frage nach der überlieferten Kultur und die Auseinandersetzung mit der eigenen Zeit, die auf ihren Wert für die Zukunft geprüft wird. Somit steigt der Aktualitätsgrad und die Position des Essays in der modernen Literatur, der zum Modewort und zur Allerweltsform wird, was bei Hofmannsthal ein bewußtes Distanzverhalten gegenüber dieser Form auslöst.[15] Die Funktion, die der Essay unter anderem bei Hofmannsthal hat, ist die genaue Kontrolle des Wirklichkeitsbildes einerseits, die scharfe Selbstkontrolle andererseits. In jedem Essay treten jene schönen Sätze auf, die wie der Same des ganzen Essays sind, aus denen er immer wieder hervorgehen kann.

   Max Bense fragt sich, ob alle großen Essayisten Kritiker sind. Ist es nicht auffällig, daß alle Zeitalter, denen der Essay kennzeichnend zukommt, wesentlich kritische Zeitalter sind?[16] "Der Essay entspringt dem kritischen Wesen unseres Geistes, dessen Lust am Experimentieren einfach eine Notwendigkeit seiner Seinsart, seiner Methode ist. [...] Der Essay ist die Form der kritischen Kategorie unseres Geistes"[17], postuliert ebenfalls Bense. "Kritik ist nur eine der Formen des Indirekten", schrieb Hofmannsthal in seinen Aufzeichnungen.[18]

  Theodor W. Adorno behauptet, daß der Essay auch auf das Verhältnis von Natur und Kultur, das sein eigentliches Thema zu sein scheint, reflektiert. Freiheit in der Wahl der Gegenstände, seine Souveranität gegenüber allen "priorities" von Faktum oder Theorie verdankt er dem, daß ihm alle Objekte gleich nah zum Zentrum sind: zu dem Prinzip, das alle verhext.[19]

   Hannelore Schlaffer gelangt zur Einsicht, die Struktur des Essays ist dialogisch und die Perspektivierung von Erkenntnis korreliert ein experimentelles Denken, das erwägt, verwirft und neu beobachtet. Symptomatisch erscheint Schlaffer der schnelle Wechsel von Thema und Motiv im Essay, die Liebe zum Detail, zum sinnlich Wahrnehmbaren, zum Augenblick, zum Zufälligen, Unverbürgten.[20]

   Subjektive Meinung ist von Anfang an das konstitutive Element der Gattung Essay, behaupte ich mit Schlaffer. Dennoch braucht sie sich nicht unmittelbar zu äußern. Der Essayist kann eine spezifische Meinung im Bild eines Dritten figurieren. Deshalb ist das Porträt bevorzugter Gegenstand des Essays, denn im Porträt beschaut sich das bürgerliche Publikum und kommt über sich selbst ins Gespräch. Klassisches Beispiel solcher Porträtkunst ist Friedrich Schlegels Aufsatz über Georg Forster, insofern in dem vorgeführten Charakter alle Möglichkeiten des Essays personifiziert und thematisiert sind. Bei Hofmannsthal haben wir als Beispiele die Essays über Balzac und Lessing.

   Zwei vorherrschende und voneinader abhängige Themen hat also der Essay im 20. Jahrhundert: Zivilisationskritik und Kunstverehrung, stellt man mit Schlaffer fest.[21] Und diese Themen findet man auch bei Hugo von Hofmannsthal wieder.

    Beim Lesen von Hofmannsthals Essays hat man den Eindruck, daß jeder Gedanke nur eine Spiegelung sei, oder eine Brechung, oder eine Fortsetzung, oder eine Variation jedes anderen Gedankens, was die malerischen und poetischen Perspektiven und Durchblicke, die sich auf fast jeder Seite ergeben, erklärt. Es gibt bei ihm keine Theorie, bemerkt Gerlach[22] sehr richtig, es sei denn, man nehme dieses Wort in seinem Ursinn: theoria bedeutete Anschauen oder Betrachten, und visio ist eine beinahe genaue Übersetzung davon. Alles geht sofort ins Bildhafte über und entfernt sich nie ganz vom Gefühlten, Erlebten. Das gerade ist ein gewichtiger Punkt in seiner Zeitkritik, daß so viele das Leben bestimmende Mächte, zum Beispiel das Geld, immer mehr in die Namenlosigkeit der Abstraktion, in den Mechanismus irgendeines Kalküls hineingezogen wurden.

   So ergibt sich bei Hofmannsthal nur ein lockeres Netz von Anschauungen, mehr oder weniger verstreute Beobachtungen, Bemerkungen, Betrachtungen. Begriffe und Definitionen bleiben beweglich, nach allen Richtungen offen. Aber der Versuch, einzelne Aspekte in einer Art Systematik herauszuheben, wollte und mußte unternommen werden: es kann niemals gleichgültig sein, was ein bedeutender Dichter zu den Grundfragen des Zusammenlebens gedacht hat. In seiner Dichtung ging es ihm um nichts Geringeres als um eine vollständige Darstellung des menschlichen Schicksals, um neue Antworten auf die uralte Frage: Was ist der Mensch? Auf der Suche danach eignete er sich nicht nur das geistige Erbe der Vergangenheit mit stupendem Fleiß an, sondern schloß auch die Erkenntnis vieler seiner Zeitgenossen ein. Er las Werke über Probleme der Wirtschaft ebenso wie der Technik, der Philosophie oder irgendeiner Wissenschaft; solange in ihnen eine Beziehung des Autors zu den Grundfragen des Menschseins zum Ausdruck kam, entzog er sich grundsätzlich keinem Wissensgebiet. Die Lehren, die er daraus entnahm, schlugen sich sowohl in seinen dichterischen Werken nieder, verwandelt und oft nur schwer wiederzuerkennen, als auch in seiner Prosa, die ja eben weithin auch eine dichterische ist. Sein Kompaß war nicht der des Philosophen, ausgerüstet mit allen Figuren des spekulativen Denkens, noch der des an den konkreten Erfahrungen der Wissenschaft geschulten Praktikers, noch überhaupt des realistischen Weltkenners, sondern er war der Kompaß eines Dichters.

   Der Essay hat, um mit Ludwig Marcuse[23] zu sprechen, zwei Pole: den Dichter und den Philosophen. Auf der Achse zwischen dichterischem Echo und philosophischer Systematisierung liegen seine Möglichkeiten. Diese Auffassung läßt sich auch auf Hofmannsthal übertragen. Da die Grenzen zwischen Furcht, Schicksal, Gedicht und Begriffssystem gleitend sind, stehen Gedicht, Essay und Philosophem auch in seinem Fall nicht hart nebeneinander.

   Der Philosoph hat an der Kultur-Gestalt, die er ausphilosophiert, kein Interesse; er sucht ihre Formel; ihr umfassendstes, also farblosestes Gesetz; des Phänomens knappsten, präzisesten, prallsten Begriff; er sucht die konzentrierteste logische Fixierung, um das eigenwillige Gebilde in seinen Begriffskosmos einbauen zu können.

   Hofmannsthal - neben Rudolf Borchardt, neben Heinrich Mann - Meister des dichterischen Essays, kennt nicht die Hybris letzter Abstraktion. Tauchen Probleme auf, so flieht er vor dem klobigen Begriff, weil er den differenzierten Begriff nicht besitzt: sicher ist Goethe und Shakespeare, Keller und Wilde stärker begriffen worden; sicher aber sind sie noch nicht reiner wiedergegeben worden. Der Dichter Hofmannsthal läßt die Gestalt gar nicht erst bis in den Brennpunkt des intellektuellen Bewußtseins. Schon im Stadium der Empfängnis führt das Erlebnis zu einer Art Nachdichtung. Das Gedicht wird von seinem Kern her - in diesem Zurückgehen liegt die dichterische Abstraktion - noch einmal gedichtet unter freier, auswählender Benutzung der originalen Formulierungen.

   In den Essays von Hofmannsthal wird eine Aussage gegen eine andere Aussage, eine Möglichkeit gegen eine andere gestellt, eine Position wird zunächst behauptet, danach fraglich gemacht und in der Schwebe gelassen. Argumente werden eingeführt, das Sichere wird durch Wendungen wie: ich meine, ich glaube, ich behaupte oder es scheint, daß..., möglicherweise, vielleicht usw. relativiert. Daraus geht die einem echten Essay typische Spannung zwischen Objektivitätsanspruch und Subjektivitätscharakter der Aussage[24] hervor. Dementsprechend ist die Forderung des Hofmannsthalschen Essays die nach dem Wahren aller echten Kunst[25], um Weissenberger zu paraphrasieren.

   Hofmannsthal bevorzugt in seinen Essays gewisse Themenkreise, aber grundsätzlich ist er allen Stoffen offen. Der Essayist fühlt sich immer als Erbe, der Essay ist häufig das Produkt oder der Ausdruck von Krisenzeiten. Der Schriftsteller hat auch diesmal die Rolle des Vermittlers, er wägt Wichtiges gegen Unwichtiges aus, er wertet Vergangenes oder Vergessenes neu und ordnet Vorgeformtes und Vorgegebenes.

   Im Falle Hofmannsthals hat man die Gewißheit, daß der Essay, der von der einschlägigen Literatur meistens als formlos bezeichnet wird, eigentlich nach klaren ästhetischen Regeln komponiert ist. Hofmannsthal liebt die Leitmotive, die Antithesen, das Kontrapunktische und Fugenmäßige. In der anscheinenden Diskontinuität liegt die Kohärenz des Textes.

   Hofmannsthal ist unermüdlich auf der Suche nach Erkenntnis, wobei er oft auch den Leser miteinbezieht. Seine Theorie ist der aufmerksame Blick auf den Einzelfall, auf das hervorstechende Detail, auf das Leben im allgemeinen. Die Philosophie seiner Essays ist Lebensphilosophie und Lebenskritik.

   Seine Themen sind zum Teil typisch für die Gattung des Essays, zum Teil sind es von seiner Zeit aufgedrängte Themen wie: Bildung, Natur, Kultur, Politik, Sprache, Heimat.

   Das kritische Element äußert sich bei Hofmannsthal besonders prägnant. Seine Essays sind immer auch Theorie, Kommentare, Paraphrasen, kleine Exegesen, Experimente. Das Fragment läßt das Ganze erahnen, das Kleine hat einen Bezug zum Großen. Die Tatsache, daß seine Essays oft gegen die Zeit geschrieben sind, daß sie diese kritisieren, verleiht ihnen eine leicht utopische Note.

   Von Interesse sind nicht nur die literarischen Phänomene, sondern auch die moralisierenden und die soziologischen Aspekte. Alles spricht den Leser als einen hellhörigen Gesprächspartner an und ruft ihn zum Nachdenken auf. Weltläufigkeit kennzeichnet Essayisten wie Hofmannsthal, Bahr, Thomas Mann, Kassner und Burckhardt.

   Bei Hofmannsthal ist der Essay fast ausschließlich Bekenntnis, er will im Essay unverschlüsselt bekennen. Er will gehört werden, und zwar nicht nur von dem auserlesenen Publikum eines Lesezirkels, sondern von der Nation. Hermann Broch wendet den Begriff Bekenntnis-Prosa vor allem auf den Aufsatz Die Farben an (aus den Briefen des Zurückgekehrten). Dieser Aufsatz ist noch ein Beweis dafür, wie wenig der Dichter vom Essayisten geschieden werden darf. Der Essay ist auch meiner Meinung nach aus dem Werk nicht herauszulösen.[26] Hofmannsthal spricht mal als liebender mal als zürnender Kritiker der österreichisch-deutschen Nation. Das Bekennen wurzelt im Betroffensein, im Ergriffensein, also in einem zutiefst dichterischen Zustand, wäre mit Exner zu ergänzen.

   In Shakespeares Könige und große Herren (1905) nimmt er Bezug auf Karl Werders Aussagen über Shakespeare, um eigentlich seine Meinung und Auffassung über den großen englischen Dramatiker sowie seine Verehrung auszudrücken: "Shakespeares Sachen sind Darstellung, nicht bloße Schilderung. Wer sich von ihm nur erzählen lassen will, der mißversteht ihn. Wer ihn nur hört, indem er ihn liest, liest ihn nur halb und mißhört ihn darum. Gespielt will er sein [...]."[27] Hofmannsthal erwähnt auch in seinen Aufzeichnungen die Bedeutung von Shakespeares Gleichnissen und Metaphern, aus denen sein Stil richtig zu erkennen ist.[28]

   Otto Ludwigs Studien über Shakespeare erscheinen Hofmannsthal ebenfalls beispielhaft, denn Shakespeare hat seine Stücke aus dem Herzen der Schauspielkunst herausgeschrieben.[29]

   Für Hofmannsthal ist jeder schöpferische Regisseur "ein Dichter und immer wieder von Zeit zu Zeit nimmt das Schicksal aus denen, die 'eine Bühne in sich tragen' und in schwelgerischer Einsamkeit Shakespeare für sich spielen, einen heraus und gibt ihm eine wirkliche Bühne."[30]

   Der Vorliebe Hofmannsthals für die Gestalt begegnen wir in mehreren Passagen. Mal ist die dichterische Gestalt, mal die Bühnengestalt gemeint:

Die Gestalten Shakespeares sind nicht nach den Sternen orientiert, sondern nach sich selber; und sie tragen in sich selber Hölle, Fegefeuer und Himmel und anstatt ihres Platzes im Dasein haben sie ihre Haltung. Aber ich sehe diese Figuren nicht jede für sich, sondern ich sehe sie jede in bezug auf alle andern und zwischen ihnen keinen leblosen, sondern einen mystisch lebenden Raum.[31]

   Die Gestalt ist die lebendige Erscheinung, wir vermögen nur die Gestalt zu lieben, und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeantwortbare, pflegte Hofmannsthal zu sagen.

   Die Idee des Ganzen ist ein Leitmotiv in den Essays und entsteht auch aus der Summierung der Gestalten: "Das Drama, ich meine nicht nur das Drama Shakespeares, ist ebensosehr ein Bild der unbedingten Einsamkeit des Individuums wie ein Bild des Mit-Einander-da-Seins der Menschen. In den Dramen, die Kleists kochende Seele in ihren Eruptionen herausgeschleudert hat, ist diese Atmosphäre, dieses Mit-Einander der Gestalten vielleicht das Schönste des Ganzen."[32] Zum eigenartigen Stil Hofmannsthals gehören die Konstruktionen mit Durchkopplungsbindestrich[33] nach dem Muster der im zitierten Text vorkommenden.

   Eine Gruppe von Essaytexten bekunden Hofmannsthals Interesse und Bewunderung für die Schauspielkunst. Die schauspielerische Gabe versteht Hofmannsthal als einmalige intuitive Fähigkeit, alle Leidenschaften zu erfassen, alle Rollen zu spielen, die das Leben dem Menschen in so unwahrscheinlicher Vielfalt zuweist. Durch die Kunst des Dichters und des Mimen werden der tiefere Sinn, die Tragik und der Jubel des Lebens erfaßt.[34] Eleonora Duse ist ein Beispiel für die Fähigkeit, verschiedene Charaktere wie die Kameliendame von Dumas oder Fedora von Victorien Sardou oder Nora von Ibsen überzeugend darzustellen: "Die Duse spielt nicht sich, sie spielt die Gestalt des Dichters", behauptet Hofmannsthal.[35]

   Hofmannsthal manifestiert besonderes Interesse an den Bestrebungen der jungen Secessionisten-Gruppe, wobei er wichtige Aufschlüsse über sein Verhältnis zur bildenden Kunst zuläßt. Seine Zeilen geben eine zusammenfassende Darstellung aus dem Blickwinkel der wechselseitigen Betrachtung von Literatur- und Kunstgeschichte. Hofmannsthals Verhältnis zur bildenden Kunst ist vorwiegend von seiner Teilnahme an den Problemen seiner Zeitgenossen bestimmt. Seine Schriften zu Fragen der Kunst sind die eines authentischen Kritikers und Mentors, dadurch daß sie sich durch ein hohes Maß an unmittelbarer Beteiligung kennzeichnen.

   Ein Leitmotiv der frühesten Aufsätze über neue Kunstbücher und Ausstellungen moderner Kunst ist die Idee des "ästhetischen Menschen", dessen Bemühung, die "Umgebung zu stilisieren und das Gewöhnliche als Schauspiel zu genießen"[36], in einer Studie über Walter Pater zur ästhetischen Lebenshaltung erhoben wird:

   "Wir sind fast alle in der einen oder anderen Weise in eine durch das Medium der Künste angeschaute, stilisierte Vergangenheit verliebt"[37], heißt es so vielsagend bei Hofmannsthal. Puvis de Chavannes und die englischen Präraffaeliten sind die vornehmsten Vertreter eines Kunstgeschmacks, der etwa die Farben eines Bildes rühmt, weil sie "viel schöner als alle wirklichen Dinge"[38] sind und der in einem Kunstwerk die reinigende, "veredelnde Sprache"[39] der Gebärden sucht. Nur das Künstliche, Geformte, zu stilisiertem Dasein Geläuterte besitzt Wirklichkeitsanspruch - alles andere ist bloßes Material, dem erst der Zugriff des Künstlers bleibenden, sinngebenden Umriß zu verleihen vermag.

   Hofmannsthal hat den Präraffaeliten und dem Präraffaelitismus vier Essays gewidmet: Algernon Charles Swinburne (1892), Über moderne englische Malerei (1894), Walter Pater (1894) und Englischer Stil" (1896).

   In den frühen Essays zur zeitgenössischen bildenden Kunst bringt Hofmannsthal einerseits seine Abneigung gegenüber dem Eklektizismus, der "Krankheit des Jahrhunderts"[40], zum Ausdruck, andererseits begrüßt er fortschrittliche Persönlichkeiten wie Khnopff und Rops, Klinger und Franz Stuck, vor allem aber die Vertreter der englischen Malerei. Er würdigt die Präraffaelitten als Entsprechung zur Eindringlichkeit und sparsamen scharfen Prägnanz eines Dante[41]. Ihre "Durchseelung des Leiblichen"[42] - etwa in der allegorienreichen Kunst eines Burne-Jones - wird gegen den antikisierenden Idealismus Winckelmanns ausgespielt. Entscheidend ist die Frage, ob "eine künstlerische Individualität die freie Kraft gehabt hat, eine neue, aus lebendigen Augen erschaute Perzeption des Weltbildes in einer Weise darzustellen, die sich der Seele des Betrachters zu übertragen geeignet ist."[43] Der Künstler wird zum Visionär und Mythenbildner, in der Nähe des Dichtens, Denkens und Träumens. Die Formel von der Kunst als einer "Natur auf Umwegen"[44] erklärt Hofmannsthals Absage an naturalistische Mimesisvorstellungen sowie an ästhetizistische Künstlichkeit.

   Die vier genannten Essays sind der Beweis für Hofmannsthals Verhältnis zu den englischen Künstlern und deren Zugehörigkeit zu einer großen und bedeutenden Strömung, die vom 19. zum 20. Jahrhundert überleitete. Sein Engagement in der Debatte zum englischen Ästhetizismus beweisen Aufzeichnungen, briefliche Hinweise, Aufsätze, Rezensionen, Essays. Seine Faszination wird von der Zeichensprache der Bilder sowie von der Vermittlerrolle der Kunstkritik verursacht. Ursula Renner nennt zwei wichtige Komplexe bei Hofmannsthal, nämlich einen ästhetischen und einen außerästhetischen und gesellschaftlichen, denen ein Moment der Kommunikation und Vermittlung gemeinsam ist.[45] Der Kritiker hat eine Schlüsselfunktion, besonders ist John Ruskin als begnadeter Kritiker zu erwähnen. Der Kritiker verbindet Rezeptions- und Produktionsprozeß und vermittelt zu äußerer Lebenswelt und schöpferischer Innenwelt. Somit erfreut sich der Künstler und Kritiker einer doppelten Kompetenz: er malt und nimmt Stellung zum Gemalten. In Gedichten Stefan Georges, in Bildern eines Burne-Jones oder Puvis de Chavannes sieht Hofmannsthal eine neue künstlerische Ausdruckssprache verwirklicht. Fühlen und Schauen werden zusammengebracht. Hofmannsthal macht sich die Position von Ruskin zu eigen, wenn er fordert, daß die Menschen wieder lernen müßten, "daß die Malerei eine Zauberschrift ist, die, mit farbigen Klecksen statt der Worte, eine innere Vision der Welt, der rätselhaften, wesenlosen, wundervollen Welt um uns übermittelt" und die "keine gewerbliche Tätigkeit" sei[46]. Das Sprechen über Kunst soll folglich nicht von Journalisten oder Wissenschaftlern, sondern von künstlerisch begabten Kritikern oder Künstlern selbst gesichert werden.

   Bei keinem deutschen Dichter hat Metaphorik so viel mit Essayistik zu tun wie bei Hofmannsthal, weil der metaphorische Prozeß bei Hofmannsthal nicht aus dem Werke, nicht aus der Methode des Werkes herauszulösen ist. Belege haben wir zahlreiche in seinen Äußerungen über die Bedeutung des Metaphorischen. "Ich bin ein Dichter, weil ich bildlich erlebe"[47], pflegte Hofmannsthal zu sagen. In seinem Essay "Philosophie des Metaphorischen" (1894) erklärt Hofmannsthal das Wesen der Metapher darin, daß sie in einer hellsichtigen Darstellung des seltsam vibrierenden Zustandes zu uns kommt, "über uns kommt in Schauer, Blitz und Sturm". Der Metapher als einer plötzlichen blitzartigen Erleuchtung verdanken wir das Erahnen des großen Weltzusammenhanges, sie läßt schaudernd die Gegenwart der Idee, den ganzen mystischen Vorgang spüren, den uns die Metapher leuchtend und real hinterläßt.[48] Wie sehr Hofmannsthals Sprache bildlicher Ausdruck ist, entnehmen wir den meisten Stellen seiner Essays, wie z.B. Gabriele d'Annunzio (1894), Sommerreise (1903) u.a. Die Metaphorik will bis ans Ende eines Essays duchgehalten und "durchkomponiert" sein. Deshalb gibt uns seine Arbeitsweise wichtige Aufschlüsse über die Gattung des Essays sowohl in seinem Schaffen als auch allgemein.

   In der Wendung zur stilisierten Form hat Hofmannsthal das Bedürfnis nach intensiviertem Ausdruck und nach neuen Wirklichkeitsschichten. Die Abkehr von der Natur vollzieht sich als Ablehnung der platten, kleinlichen Naturnachahmung, als Protest gegen einen müden Gartenlaube-Naturalismus und als Bekenntnis zum Kunstwerk als einer Angelegenheit der Form und nicht des Inhaltes: "Ich glaube, daß der Begriff des Ganzen in der Kunst überhaupt verlorengegangen ist. Man hat Natur und Nachbildung zu einem unheimlichen Zwitterding zusammengesetzt, wie in den Panoramen und Kabinetten mit Wachsfiguren. Man hat den Begriff der Dichtung erniedrigt zu dem eines verzierten Bekenntnisses."[49]

   Das Widersprüchliche und Schwankende sind Wesenszüge, welche die Schriften des jungen Loris mit den vielfach divergierenden Bestrebungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts teilen, meint sehr richtig Werner Hofmann[50]. Hofmannsthal lobt die "subtile Expressivität"[51] der Präraffaeliten, die "Kunst eines beherrschten Gemüts"[52] wie Puvis de Chavannes und die kleinen, heute längst vergessenen Impromptus der Marie Bashkirtseff[53].

   Hofmannsthal hat als erster die Karikatur und deren bedeutungsvolle entwicklungsgeschichtliche Zwischenstellung in der Malerei des 19. Jahrhunderts eindeutig erkannt und dargestellt, möchte ich mit Hofmann präzisieren. Die Entdeckung der formbefreienden Möglichkeiten der Karikatur ist einer der interessantesten geistesgeschichtlichen Prozesse des 19. Jahrhunderts. Die stärksten Impulse kamen aus Frankreich. Die ersten literarischen Entdecker der Karikatur als Ausdruckskunst waren Baudelaire, Gautier und Champfleury. In Deutschland hat Muthers "Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert" ihrem vertieften Verständnis gedient. In der Besprechung des ersten Bandes dieses Werkes schimpft Hofmannsthal gegen die tote, stilisierte Welt und bekennt sich zu Delacroix.[54]

   Hofmannsthal ist in vielen Fällen der französischen Kunstkritik verpflichtet, geht aber bei der Entdeckung des durch die Karikatur bereicherten Formempfindens völlig neue Wege. In dem Aufsatz Franz Stuck (1893) spricht Hofmannsthal von der "Gabe der eindringlichen, übereindringlichen Charakteristik", die der Künstler von der Karikatur besitzt. Diese ist eine wahre Vorschule, in der man "das Lebendige ornamental und das Ornament lebendig verwenden" lernt.[55] Hofmannsthal bezeichnet als eine "wichtige künstlerische Eroberung" die Fähigkeit, "die Dinge unbeschadet ihrer konventionellen Bedeutung als Form an sich zu erblicken".[56]

   Man kann mit Hofmann feststellen, daß "Stilisierung" und "Lebensnähe" die beiden Prinzipien darstellen, um die Hofmannsthal das ereignisvolle Kunstgeschehen seiner Zeit gruppiert. In dem Aufsatz über Hermann Bahr (1891)[57] schreibt Hofmannsthal, daß gerade der heterogene Charakter dieser verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten das Wesentliche des neuen Kunstvorhabens sein wird: "Der dargestellte Vorgang, eine Synthese von brutaler Realität und lyrischem Raffinement, ist fast ein Symbol der heutigen Kunstaufgabe überhaupt. So hat Bahr selbst das Problem gefaßt: aus Zolaismus und Romantik, aus der Epik der Straße und der Lyrik des Traumes soll die große, die neue, die mystische Einheit werden."[58]

   Hofmannsthal hat sich besonders in seiner Studie über Victor Hugo mit der Vermischung verschiedener Ausdrucksebenen auseinandergesetzt. Er hat das Prinzip der Stilmischung, eine der wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten des 20. Jahrhunderts, in der Ariadne auf Naxos angewendet.

   Hofmannsthals Schriften der 90er Jahre fassen die Atmosphäre des Jahrhunderts zusammen: seine Südfranzösischen Eindrücke (1892) schildern die Welt von Van Gogh, seine Studie Englischer Stil (1896) erinnert an die Bildnisse der Café-Concert-Mädel von Toulouse-Lautrec.

   Eine mögliche Zäsur in der langen Reihe der kunstkritischen Aufsätze wäre nach Hofmann zwischen den in den Blättern für die Kunst 1897 erschienenen Aphorismen und der Studie über Victor Hugo zu setzen. Die Ansprache im Hause des Grafen Lanckoroñski (1902) leitet einen neuen Abschnitt ein, dessen Wesenszüge sich am offenkundigsten in der gewandelten Naturauffasssung belegen lassen: "Wirklich, wir stehen hier vor dem Reiche der Kunst wie vor dem der Natur, als vor einem schlechthin unendlichen."[59] Der Einfluß Goethes wird hier deutlich und kennzeichnet die gesamte Vorstellung vom Kunstwerk, die Hofmannsthal entwickeln sollte.

   Was Hofmannsthal als Darstellung einer Familien- und Entwicklungsgeschichte sowie als kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kultur geplant hatte, endete schließlich als Darstellung eines subjektiven Kunsterlebnisses in den Briefen des Zurückgekehrten (1907), die für Hofmannsthal als "halbpolitische Publikation" gelten.[60] Auch in dem Inhalt der Briefe, in denen sich essayistische Ansätze herauskristallisieren, kann die Veranschaulichung von zwei Erlebnisweisen als Hauptanliegen der modernen Kunst erkannt werden. Die eine gipfelt in der Verfremdung der Umwelt, die andere erlebt den Kosmos als ein wesenhaftes, sinnvolles Ganzes, in das der Mensch eingebunden ist. Eine kritische Analyse des deutschen Lebensstils leitet die Beschreibung von Erlebnissen der Wahrnehmungsentfremdung ein.

   Bereits 1894 beschrieb Hofmannsthal dieses Erlebnis des Unwirklichwerdens an einigen Werken des Engländers John Reid.[61] Mit dieser Beschreibung wird die verfremdende Wirklichkeitsmagie der surrealistischen Malerei vorweggenommen.

   Hofmannsthals starkes Empfinden für die Kraft der Farben wird im fünften und letzten Brief des Zurückgekehrten zu einer tragisch gefärbten "Weltanschauung", die Goethesche Züge trägt: "Und warum sollten nicht die Farben Brüder der Schmerzen sein, da diese wie jene uns ins Ewige ziehen?"[62]

   Erst nach einem guten Jahrzehnt, ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, sollte Hofmannsthal wieder öffentlich zu Kunstfragen Stellung nehmen: er spricht zu den Mitgliedern des österreichischen Werkbundes über Die Bedeutung unseres Kunstgewerbes für den Wiederaufbau.[63] Auch hier hat sich das vertiefte Kunsterlebnis der Briefe des Zurückgekehrten erhalten: die Kunst gehört nun dem Leben an, sie ist eine Tätigkeit, die über den ästhetischen Bezirk hinausreicht und in alle Lebensbezirke organisch eingreift. Der Vortrag enthält treffende Beobachtungen zur künstlerischen Zeitproblematik und ihrer Lösung. Erwähnt werden die Kunst Josef Hoffmanns und Vorschläge zur urbanistischen Neugestaltung der Großstädte, die unter dem Schlagwort der "Trabantenstädte" in der Zwischenkriegszeit an manchen Orten verwirklicht wurden. Hofmannsthal unterscheidet die Gegebenheiten des deutschen Werkbundes, der den österreichischen Bemühungen viel an begriffliche Schärfe voraus hat, vom Wiener Werkbund, dessen Weg stärkere Bodennähe und engere Beziehung zu den "heimatlichen Quellen" kennzeichnet. Von den deutschen Brudergenossenschaften ist zu lernen "die Schärfe der Formulierung, das, was in der begrifflichen Umreißung der Ausdruckskultur, in dem Sichklarwerden, in dem Begriff durchgeistigter Arbeit festgelegt ist."[64]

   Werner Hofmann geht auf die einzigartige geistesgeschichtliche Parallele des Vortrags ein, da im gleichen Jahr 1919 Walter Gropius in Weimar das Bauhaus mit einem Manifest ins Leben rief, das vom Künstler eine neue, gemeinschaftliche Werkgesinnung forderte. Gropius wollte Sinnbilder für einen neuen, kommenden Glauben schaffen. Auch Hofmannsthal hofft, daß aus den Kunstgewerbeschulen einmal Bauhütten, Zentren des freien geistigen Lebens werden könnten; auch er spricht von einer "Gemeinschaft von Gewerbetreibenden, Industriellen, Künstlern, Lehrern, Schülern".[65]

   Das Weimarer Bauhaus wurde zu einem der wesentlichsten Faktoren der modernen Formentwicklung. Nach Hofmannsthal entspricht die reine, abstrakte Form weniger den schöpferischen Anlagen des Österreichers als jenen des Deutschen, weil die "inneren Übereinstimmungen des Ästhetischen und Ethischen"[66], wie Hofmannsthal sie haben möchte, stärker als in Deutschland von den Kräften der Tradition abhängen.

   Eine Reihe von Aufsätzen ästhetischen Inhalts erweisen sich somit als erlesene Proben der Interessenweite und der Formkunst des Dichters. Der österreichische Dichter stellt kunstkritische Wirksamkeit, ausgeprägte Intuition und Blickschärfe unter Beweis, zeigt weniger bekannte Parallelen auf, hat aktiven Anteil an wesentlichen Strömungen der modernen Kunst. Seine Texte stehen geistesgeschichtlich gesehen, meine ich mit Ursula Renner[67], zugleich in einem seit der Romantik über den französischen Symbolismus bis zur Jahrhundertwende sich fortschreibenden Prozeß ästhetischer Selbstreflexion.


[1]S. Klaus Günther Just (1966): Versuch und Versuchung. Zur Geschichte des europäischen Essays. In: Übergänge. Probleme und Gestalten der Literatur. Bern/München: Francke. S. 7-24. Hier S. 7.

[2]Hugo von Hofmannsthal (1979/1980): Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Bd. 8 Reden und Aufsätze I 1891-1913. Bd. 9 Reden und Aufsätze II 1914-1924. Bd. 10 Reden und Aufsätze III 1925-1929. Buch der Freunde. Aufzeichnungen 1889-1929, hrsg. von Bernd Schoeller und Ingeborg Beyer-Ahlert in Beratung.mit R. Hirsch. Frankfurt a. M: Fischer. (Im Text gekürzt als RA). Hier Bd. 10. S. 436.

[3]Näheres über die Terminologie bei Axel Spree (1996): Interpretation. In: Arbeitsbuch: Literaturwissenschaft. Hrsg. von Thomas Eicher und Volker Wiemann. Paderborn u.a.: Schöningh. S. 167-215. Hier S. 176 f.

[4]Vgl. dazu auch Bärbel Götz (1992): Erinnerung schöner Tage. Die Reise-Essays Hugo von Hofmannsthals. Würzburg: Königshausen & Neumann. S. 14.

[5] RA II. S. 128.

[6]Vgl. Gerhard Haas (1969): Essay. Stuttgart: Metzler. S. 30.

[7]RA III. S. 336.

[8]sic!

[9]RA III. S. 352.
 

 [10]Ebd. S. 361.
 

 [11]Ebd. S. 508.
 

 [12] Vgl. Dieter Bachmann (1969): Essay und Essayismus. Stuttgart, Berlin u.a.: Kohlhammer. S. 9.

[13]Hermann Kähler [(1980): Zum Essay. Probleme literarischer Subjektivität in Essayistik und Publizistik der frühen zwanziger Jahre. In: Weimarer Beiträge 26/1980. Heft 12. S. 92-113. Hier S. 98] erwähnt in bezug auf die Essayistik Heinrich Manns drei geistige Hauptkomponenten des Essays: die künstlerische, die politisch-moralische und die wissenschaftlich-analytische. Auch spricht er von Reden, Zeitungsartikeln, Flugschriften, Aufrufen als von operativen Formen, in denen sich ein Autor direkt tagespolitischen Aufgaben stellte.

[14]Vgl. auch Richard Exner (1962): Zum Problem einer Definition und einer Methodik des Essays als dichterischer Kunstform. In: Neophilologus. 46. Jg. S. 169-182. Hier S. 169.

[15]S. G. Haas a.a.O. S. 23.

[16] Max Bense (1952/1972): Über den Essay und seine Prosa. In: Plakatwelt. Vier Essays. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1952. S. 23-37. Nachgedruckt in: Deutsche Essays. Prosa aus zwei Jahrhunderten in 6 Bänden. Hrsg. von Ludwig Rohner. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Bd. 1. 1972. S. 48-61.

[17] Ebd. S. 55.

[18] S. Aufzeichnungen Bd. 10. S. 541.

[19] Adorno, Theodor W. (1958/ 81971): Der Essay als Form. In: Noten zur Literatur I. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 9-49.

[20]Vgl. Hannelore Schlaffer (1975): Der kulturkonservative Essay im 20. Jahrhundert. In: Studien zum ästhetischen Historismus. Hrsg. von Hannelore Schlaffer und Hein Schlaffer: Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 140-173. Hier S. 141.

[21]Vgl. dazu auch Dietmar Goltschnigg (1997): Essay. In: Literaturwissenschaftliches Lexikon: Grundbegriffe der Germanistik. Hrsg. von Horst Brunner und Rainer Moritz. Berlin: Erich Schmidt. S. 91-93. Hier S. 92.

[22] Vgl. Hans Hartmut Gerlach (1974): Politik und Gesellschaft im Essaywerk Hugo von Hofmannsthals. Michigan / USA: University Microfilms Ann Arbor (Phil. Diss. 1966).

[23] Vgl. Ludwig Marcuse (1921/1922): Der Essai des Dichters. In: Blätter des Deutschen Theaters. Jg. 8. Heft 6. S. 47 f.

[24]S. G. Haas a.a.O. S. 43 f.

[25] Vgl. Klaus Weissenberger (1985): Der Essay. In: Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa. Hrsg. von K. Weissenberger. Tübingen: Niemeyer. S. 105-125. Hier S. 123 f.

[26]Vgl. auch R. Exner (1961/1962): Zur Essayistik Hugo von Hofmannsthals. In: Schweizer Monatshefte. 41. Jg. S. 182-198. Hier S. 187.

[27]RA I. S. 34.

[28] Aufzeichnungen Bd. 10. S. 581 f. und 585 f.

[29] RA I. S. 34.

[30]Ebd. S. 41 f.

[31]Ebd. S. 52.

[32]Ebd.

[33]Der Durchkopplungsbindestrich steht im allgemeinen bei Wortgruppen und Sätzen als Erstgliedern substantivischer Komposita vom Typ "Sieg-ist-möglich-Strategie". Vgl. dazu Wolfgang Fleischer et. al. (²1996): Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang. S. 238.

[34]Bei Hermann Eichbichler: Die Legende einer Wiener Woche. Hugo von Hofmannsthal: Eleonora Duse. In: Dolomiten/1.8.1985.

[35] RA I. S. 470.

[36] Vgl. Hofmann, Werner (1955): Hofmannsthal als Kunstkritiker. In: Wort in der Zeit. Graz: Stiasny 1.Jg. Folge 3/1955. S. 167-173.

[37]RA I. S. 196.

[38] Vgl. W. Hofmann a.a.O.

[39] Ebda.

[40] RA I. S. 523.

[41] RA 1. S. 549.

[42] RA I. S. 551.

[43] RA I. S. 527.

[44] RA I S. 549.

[45] Vgl. Ursula Renner (2000): "Die Zauberschrift der Bilder". Bildende Kunst in Hofmannsthals Texten. Freiburg im Breisgau: Rombach. S. 177 f.

[46] RA I. S. 526 f.

[47] RA III. S. 382.

[48] RA I. S. 192.

[49]RA I. S. 15.

[50] Vgl. Werner Hofmann (1955): Hofmannsthal als Kunstkritiker. In: Wort in der Zeit. Graz: Stiasny Verlag. 1. Jg. Folge 3/1955. S. 167-173.

[51] RA I. S. 548.

[52] RA I. S. 573 f.

[53] RA I. S. 163 f.

[54] RA I. S. 519 f.

[55] RA I. S. 530.

[56] Ebd.

[57] Gemeint ist der Aufsatz Die Mutter in: RA I. S. 100-105.

[58]Ebd. S. 104.

[59] RA I. S. 24.

[60]Vgl. Ellen Ritter (1988): Hugo von Hofmannsthal: Die Briefe des Zurückgekehrten. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts. Hrsg. von Christoph Perels. Tübingen: Niemeyer. S. 226-252. Hier S. 252.

[61] Gemeint ist der Aufsatz Internationale Kunst-Ausstellung 1894 in RA I. S. 534-545.

[62] Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden a.a.O. Bd. 7 (1979). Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe. Reisen. S. 571.

[63]RA II. S. 55-68.

[64] RA II. S. 60.

[65] RA II. S. 58.

[66] RA II. S. 65.

[67] Vgl. Ursula Renner (2000): "Die Zauberschrift der Bilder". Bildende Kunst in Hofmannsthals Texten. Freiburg im Breisgau: Rombach. S. 41.

 

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